ATEMLOS
Kapitel 1
Eiskalt peitscht ihr der Wind entgegen. Mit einem lauten Knall fällt die Haustür zu und sie schreckt auf. "Hundewetter heute in Österreich!", hört sie noch leise aus dem leicht gekippten Küchenfenster, "Fahren Sie vorsichtig, es kann vormittags zu erhöhtem Schneefall kommen!" Pah, von Schnee war überhaupt nichts zu sehen, es ist nur verdammt kalt und der Wind bläst von den Alpen durch das kleine Dorf, mehr nicht, denkt sie sich, im Laufschritt über den Asphalt schwebend. Sie hatte nämlich gestern Nacht auf die Kinder ihrer verstorbenen besten Freundin Annabell aufgepasst, die ebenfalls ihre Nachbarin gewesen ist, und wollte nach einem Glas Wein auf keinen Fall mehr nach Hause fahren. Sie hatte Annabell schon gekannt seit sie fünf war und es war damals wie Freundschaft auf den ersten Blick. Annabell ist die liebenswerteste Person gewesen, die sie kannte, und jedes Mal, wenn sie an Annabell denken muss, fährt ihr leicht eine zarte Gänsehaut auf. Das Glas Wein war eine schlechte Idee gewesen, wie sich nun herausstellte, denn es ist stockdunkel und eisig kalt. "Wie in einem schlechten Horrorfilm!", denkt sie sich. Der Mond scheint nämlich noch immer klar und hell auf den Waldboden, den sie gerade betritt. Ein kühler Schauer lauft ihr über den Rücken, als sie hinter sich etwas rascheln hört. War da was? Nein, alles nur Einbildung. Seitdem Annabell auf mysteriöse Weise ums Leben gekommen war, bildet sie sich so einiges ein. "Reiß dich zusammen, es war ein Unfall, sie fuhr einfach zu schnell!", beruhigt sie sich selbst immer und immer wieder, während der feuchte Waldboden ihre zarten Winterstiefel komplett durchnässt. Nach einer gefühlten Ewigkeit und mit klappernden Zähnen erreicht sie endlich das Haus von Herbert. So kalt war ihr noch nie in ihrem gesamten Leben!
Ihm ist nicht kalt! Zwischen den ganzen Sträuchern und dem Schutz der großen Büsche fühlt er sich wohl. Aber wenn er genau darüber nachdenkt, kennt er das Gefühl von Kälte nicht. Seine Lehrerin im Gymnasium damals sagte schon, dass er ein Herz aus Eis habe, als er den Mädchen in seiner Klasse Haarsträhnen abschnitt und diese als Andenken mitnahm. Zuerst bemerkte es keiner, doch als ein Mädchen hysterisch zu schreien begann, flog alles auf. Wie er sie hasste! Doch sie hatten es alle bereut! Bei diesem Gedanken huscht ihm ein leichtes Lächeln über die Lippen. Die unendlichen Jahre beim Psychologen, der Spott, der Hass, alles wurde beglichen. Plötzlich schleicht eine schlanke Silhouette vor seinen Augen vorbei, die fast auf den eisigen Boden fällt. Tollpatschig wie eh und je, so mag er das! Mit der Geschmeidigkeit einer Katze stemmt er sich aus dem Gebüsch und lässt beinahe geräuschlos den Wald und dessen schützende Dunkelheit hinter sich!
Irgendwas ist heute komisch, kommt ihr in den Sinn. War da etwas im Wald? "Mach dich ja nicht verrückt!", schreien ihre Gedanken. Hier steht sie nun, vor dem kleinen Häuschen, in dem Herbert mit Annabell und den Kindern gelebte hatte. Ach Annabell, wenn du nur hier wärst! Langsam geht sie zum Auto und begutachtet die Windschutzscheibe. Jedes Mal will sie sich einen Eiskratzer kaufen und jedes Mal vergisst sie dann doch darauf. Also muss heute wieder die alte Fitnessstudiokarte herhalten. "Vielleicht sollte ich dort mal vorbeischauen...", mischt sich das schlechte Gewissen ein, während sie ganz langsam das Eis von der Scheibe kratzt. Andächtig schiebt sie Eisspalte für Eisspalte weg und lässt ihren Gedanken freien Lauf. Jetzt ist das mit Annabell schon ein gutes Jahr vergangen und die Ermittlungen haben nie etwas ergeben, so dass man es schließlich dabei belassen hat, dass Annabells Autocrash ein Unfall war. "Unfug!", schrie sie damals mitten in der Polizeistation, während Herbert weinend auf dem Stuhl einknickte. Niemand konnte das glauben, aber die Polizei bleibt dieser festen Überzeugung. Sie kämpft sich weiter und weiter voran auf der Windschutzscheibe und reibt sich zwischendurch immer und immer wieder ihre vor Kälte dunkelblauen Finger.
"Fast majestätisch, wie sie das macht!", tuschelt er in seinen dicken Pulli. Mehr als einen Pullover braucht er nicht, um sich warm zu halten. Dennoch macht er ganz vorsichtig die Autotür auf und setzt sich schwerelos auf die Rückbank. Die nervende Katze hat er schon zuvor ausgeschaltet und innerlich jubiliert er schon, wohl wissend, wie das ganze Abenteuer enden würde. "Lasset die Spiele beginnen!", und langsam verschmilzt sein Körper optisch mit der Rückbank.
"Komisch, wieso springt diese verdammte Rostlaube nicht an?!" Mit vor Kälte zitternden Fingern versucht sie, ihren Jeep nochmals zu starten. Aber wieder nichts! Ganz toll. Sie steigt aus und rutscht fast auf der kleinen Eisplatte vor der Fahrertür aus, flucht innerlich und versucht mit aller Kraft, die Motorhaube zu öffnen. Doch irgendwie klemmt sie und als sie erkennt was der grausame Grund ist, wird ihr speiübel! Mit tränenden Augen läuft sie Richtung Haus, um Herbert aus dem Schlaf zu reißen. "Herbert, Herbert bitte lass mich rein!", schreit sie immer und immer wieder in die Dunkelheit und kann gerade noch stehen bleiben, bevor Herbert ihr die Tür ins Gesicht schlägt kann. Herbert verschlafenes Gesicht verzieht sich erst, als er ihre blonden Haare sieht, die ihr im Gesicht kleben. "Wieso klebt da Blut?", fragt er erschrocken, doch als sie in weinend in seinem Armen liegt, denkt er nicht mehr darüber nach, sondern hält sie einfach nur mehr ganz fest, um sie zu beruhigen.
"Läuft ja besser als gedacht!", feiert er immer und immer wieder innerlich. Die Katze wird dieser Herbert entfernen, sie wird schon verängstigt einsteigen und es ihm nicht gerade einfach machen. Doch das Spiel wird er genießen. Nein, er wird es in zehn Jahren noch feiern. Seinen Triumph, seinen gefinkelten Schachzug! Leise lachend öffnet er die Autotür und verschwindet raus in den sicheren Schatten des Holzstapels.
"Herbert, da... das ist... da...!", die Worte kommen nur mühsam aus ihrem Mund. Auch wenn Herbert versucht, sie zu beruhigen, die Angst steht ihr ins Gesicht geschrieben. "Wollen wir zum Auto gehen? Hat es damit etwas auf sich?", fährt es ihm ein. Sie nickt nur leicht und sanft schiebt er sie über die spiegelnden Steinplatten der Stiege, bis beide vor dem Auto stehen. Wimmernd zeigt sie mit ihrer Hand auf die Motorhaube, die sie vor Schreck sogar noch einmal zugeschlagen hat. Mit Fingerspitzengefühl hebt Herbert leicht die Verdeckung an und ein bestialischer, süßlicher Geruch schlägt ihm entgegen und Blut rinnt über seine Finger. Erschrocken starrt er sie an und geht ein paar Schritte zurück. Doch dann findet er seine Beherrschung wieder und zwingt sich dazu, die Motorhaube ganz sanft aufzudrücken. Schockiert sucht er nach den Worten, die ihm der Schock zu Gänze gestohlen hat: "Li...Lilli! Wieso? Wie geht das?" Wimmernd steht sie neben Herbert. Sie wird einfach das ungute Gefühl nicht los, dass die Katze ihr ins Auto gelegt wurde. Ein kalter Schauer läuft ihr über den Rücken und ihre Wangen werden wieder feucht von ihren Tränen. Wortlos untersucht Herbert das Auto, währenddessen auch ihn die quälenden Gedanken nicht loslassen, dass seine kleine Katze Lilli sich nicht selbst in dem Auto getötet hat, sondern dass da jemand anderer noch seine Finger mit im Spiel hatte. Doch ihr zuliebe sagt er kein Wort! Er will sie einfach nicht noch mehr verunsichern, als sie sowieso schon ist.
Amüsiert hat er es sich hinter dem Holzstapel gemütlich gemacht und er kann hier das ganze Schauspiel aus sicherer Entfernung beobachten. Besonders lustig findet er es, wie der Mann das komplette Auto durchsucht, ohne dabei etwas zu finden. Das zeugt wieder einmal von sauberem Handwerk, welches er geleistet hat! "Aber Herbert, ich kann doch nicht...!" - "Klar kannst du! Nimm mein Auto und lass deins hier stehen, ich kümmere mich um die Katze, wenn du von deiner Arbeit zurück bist, habe ich alles repariert! Außerdem war mein Auto unter Dach, dir kann nichts passieren!" Oh, eine Planänderung, wie spannend, auf die hat er sich nämlich am meisten gefreut! Freudestrahlend huscht er aus seinem sicheren Versteck und verschwindet in der sicheren Tarnung der Dunkelheit Richtung Hauptstraße.
Langsam steigt sie in Herberts Auto ein, während sie das Innere begutachtet. "Danke dir, Herbert!", haucht sie leise, nachdem sie sich um einiges wieder beruhigt hat. Dieser drückt sie nur kurz an sich. "Ich bin doch immer für dich da, so wie du für die Kinder und mich da bist. Bitte fahre vorsichtig, wir sehen uns heute Abend!" Lächelnd schließt sie die Autotür und schiebt den BMW verkehrt aus der sehr schmalen Garage. Herbert winkt ihr kurz zu und verschwindet dann wohl oder übel im Rückspiegel, als sie den Privatweg verlässt und das Straßenlicht die Finsternis ablöst.
Wartend kniet er hinter einem großen Busch und kratzt durch die Nervosität Narben auf, die er sich damals durch das Aufritzen seiner blassrosa Haut selbst hinzugefügt hatte. Ja damals, denkt er immer und immer wieder, während das Blut über seine beiden Handrücken fließt und er sich an alle grausamen Momente seiner Kindheit erinnert, die ihm widerfahren sind. Doch zu solchen Zeitpunkten ist er immer sehr nervös. Denn hier kann vieles schief gehen, aber bis jetzt ist noch jede Frau stehen geblieben. Grelles Licht kommt immer näher auf ihn zu: Sie kommt!
Der BMW rollt fast lautlos über den gleichmäßigen Asphalt der Landesstraße. Noch sind keine Autos zu sehen, doch das stört sie nicht sonderlich! "Last Christmas, I'll give you my heart...", schallt es aus dem Radio und sie stimmt lauthals mit ein. Es ist fast so, als würde ihr eine schwere Last von den Schultern genommen werden, und für einen, wenn auch nur klitzekleinen Moment, kann sie alle Sorgen vergessen, die sich in ihr aufstauen. Im Gedanken versunken gibt sie immer mehr Gas, obwohl der Tacho schon 130 km/h anzeigt. Die Welt um sie existiert kurze Zeit nicht, jedenfalls solange nicht, bis plötzlich aus dem Nichts ein oranger Kinderwagen hervorrollt. Schreiend und zitternd tritt sie das Bremspedal durch und kommt gerade noch rechtzeitig vor dem Wagen zu stehen. Blass vor Angst sitzt sie nun hinter dem Steuer. Nackte Angst durchfährt sie von den Zehenspitzen weg bis tief ins Mark. Als sie sich wieder etwas beruhigt hat, springt sie aus dem Auto, und ohne nachzudenken läuft sie schnurstraks auf den Kinderwagen zu, in der Angst, ein kleines Baby darin zu finden.
Er zittert vor Freude, nicht durch die Kälte! Langsam, ganz langsam geht er auf die Hintertür des Autos zu, öffnet sie und setzt sich ganz elegant auf den Rücksitz. Die Kamera und eine alte CD von Whitney Houston zieht er unter seinen Pullover hervor. Nun fällt ihm ein Stein vom Herzen, als er sieht, dass der BMW auch einen CD- Player besitzt. Vorsichtig schiebt er die CD in den Schlitz und dreht den Regler der Lautstärke auf die Stufe eins, so dass man die Musik nur ganz leise im Auto hören kann. Zufrieden lehnt er sich zurück und genießt den Moment, in dem er wieder der Chef des Schicksals sein kann!
Sie wird immer schneller, als sie sieht, dass zwei kleine Ärmchen aus dem Kinderwagen hervorstehen. Weinend steht sie vor dem orangen Kinderwagen, dem sogar ein Rad kaputt ging, welches lieblos an dem Metall festgebunden worden ist. "Mama, Mama!" Sie kann ihren Augen kaum trauen, als sie sieht, was in diesem orangen Metallgestell zum Vorschein kommt: Es ist eine Kinderpuppe, die anscheinend schon in die Jahre gekommen sein muss. Auf der Decke der Puppe liegt ein gelber, gefalteter Zettel, auf dem ihr Name steht. Mit zitternden Fingern reißt sie das Papier auf und weinend liest sie diesen einen Satz immer und immer wieder durch. "Ich sehe dich!", steht da und eine hässliche Fratze ist neben dem Rufzeichen aufgezeichnet. Kreischend schmeißt sie in ihrer Eile den ganzen Kinderwagen um und rennt zum Auto. "Ich muss Herbert anrufen!", schießt es ihr durch den Kopf, " Ich muss hier weg!" Unbeholfen springt sie ins Auto, schlägt die Tür zu und fährt los, ohne noch einmal den Blick auf den orangefarbenen Kinderwagen zu werfen.
Sie riecht so gut! Sie riecht etwas nach Angst, aber auch etwas nach Erleichterung. Für ihn ist es ein schönes Gefühl, seine Opfer so aufgebracht zu sehen. Er zieht die Kamera hervor und schießt ein Foto, aber so, dass sie es nicht bemerkt. Er beobachtet ihre Gesichtszüge, während sie durch die Dunkelheit rast. Das war nun Phase drei seines Plans, und jetzt kann er sich eindeutig auf die vierte Phase freuen.
Sie muss ihre Gedanken ordnen! Wo verdammt hat sie ihr Handy gelassen? Und wieso um Himmels Willen läuft eine CD im CD-Player? Sie dreht die Musik etwas lauter und vor Schreck vergisst sie, auf die Straße zu achten. Das war das Lied! Das war Annabells Lieblingslied und sie hatten es jedes Mal gemeinsam gehört, wenn sie sich trafen. "I wanna dance with somebody, I want to feel....", tönt es aus dem Radio des BMWs. Wieso ist eine CD darin? Hat Herbert die gehört und ihr war es zuvor nicht aufgefallen? "Ich hoffe doch sehr, dieses Lied gefällt dir genauso gut wie mir!", kommt es plötzlich leise von hinten und etwas Kaltes fährt durch den Zwischenraum der Rückenlehne und der Nackenstütze ihren warmen Hals entlang. Vor Schreck verwechselt sie das Gaspedal mit dem Bremspedal und das Auto wird immer schneller.
Welcher Triumph das doch ist! Mit seinen kalten Fingern fährt er vorsichtig ihren zarten Hals entlang und riecht an ihren langen Haaren. Dieses Gefühl kann ihm nun keiner nehmen! "Wer bist du und wieso verfolgst du mich?" Hach, sie versucht selbstsicher zu klingen, aber leider versagt ihre piepsige Stimme. Wie schön, denkt er sich, während er die Kamera hervorholt und ein weiteres Foto schießt. "Es ist egal, wer ich bin, aber es ist schön dich zu sehen, Mika!", haucht er zart in ihren Nacken. Er spürt ihre Angst und fühlt sich wohler denn je.
"Woher kennst du meinen Namen? Wo hast du mein Handy versteckt? Was hast du mit Annabell gemacht?", die Fragen sprudeln nur so aus ihr heraus und vor lauter Aufregung bekommt sie fast keine Luft mehr. Keine Angst zeigen, bloß keine Angst fühlen! Doch das ist leichter gesagt als getan. "Wenn ich schnell fahre, wird er mir wohl nichts tun!", denkt sie sich und tritt immer mehr auf das Gas. "Nanana, du bist aber neugierig geworden, so kenn ich dich überhaupt nicht!", sagt er sanft, wie eine Mutter zu ihrem Kind. "Du kennst mich gar nicht! Lass mich in Ruhe!", schreit sie und tritt dabei noch mehr aufs Gas, als sie es sowieso schon tut. "Bleib stehen! Sofort!", fährt er sie an und krallt seine beiden Hände um ihren Hals, so dass sie nach Luft schnappend doch auf die Bremse steigen muss. "Ich muss weglaufen! Ich bin um einiges schneller als er!", denkt sie sich und bereut es nun, die letzten Monate nicht im Fitnessstudio gewesen zu sein. Das Auto steht nun mitten auf der Landstraße in dem verlassenen Waldstück, vor dem sie sich immer fürchtet. Ohne sich umzudrehen reißt sie die Tür auf und rennt so schnell, wie sie noch nie in ihrem Leben gerannt ist.
Wie süß, dass sie glaubt, dass sie schneller sein kann als er! Er hüpft aus dem Auto und setzt sich danach auf den Fahrersitz. Er sieht sie noch immer laufen, als er den Motor startet und gibt ihr doch noch ein paar Sekunden Vorsprung, um das Spiel spannender zu gestalten. Seine Knöchel an den Händen sehen weiß aus, so angestrengt umklammert er das Lenkrad. Doch jetzt gibt er Gas und innerhalb einiger Sekunden ist er direkt hinter ihr. Nichts kann ihn jetzt noch aufhalten!
Mit dieser Geschwindigkeit könnte sie einen Marathon gewinnen! Sie kann nicht mehr klar denken, solche Todesangst erleidet sie in diesen Sekunden. Das qualvolle Stechen in ihrer Lunge ist ihr egal, sie will einfach nur überleben, was es auch kosten mag. Doch als sie sich umdreht wird sie geblendet und als sie merkt, wie schnell Herberts Auto auf sie zurast, schließt sie im Geiste schon mit ihrem Leben ab. Zitternd fällt sie zu Boden und beginnt zu beten. "Annabell, bitte, bitte, hilf mir!", fleht sie dem Himmel zu. Doch sie sieht nur noch die beiden Scheinwerfer gefährlich auf sie zukommen. "Bitte, lieber Gott, ich bitte dich!", schreit sie weinend den beiden Lichtern zu, während sie krampfhaft versucht, sich aufzurichten, doch ihre Beine machen nicht mehr mit und kreidebleich fällt sie wieder zu Boden. Sie hält sich die Ohren zu und fühlt in diesem Moment nur reine Dankbarkeit. Sie ist so dankbar, dass sie ein schönes Leben hat und sie ist voller Hoffnung, Annabell bald wieder zu sehen. Doch der erwartete Aufschlag, die Schmerzen, der Tod, das alles trifft nicht ein! Verblüfft erhebt sie ihren Kopf und in diesem Moment hört sie einen ohrenbetäubenden Lärm. Danach Totenstille, nur der Vorderreifen von Herberts Auto kippt leicht zur Seite, nachdem er von dem schräg liegenden Wagen abgefallen ist. Sie versteht die Welt nicht mehr, doch plötzlich sieht sie einen großen Schatten auf sich zukommen. "Mika! Mika wo bist du?" Herbert!!! Weinend und zitternd steht sie ohne Probleme auf und läuft direkt in Herberts geöffnete Arme. Dieser bleibt ganz ruhig stehen und hält sie fest. "Psst! Alles ist gut, Mika. Beruhige dich, die Polizei ist unterwegs! Psst...", sagt er immer und immer wieder. Nachdem sie sich etwas beruhigt hat, hebt sie den Kopf und schaut direkt in Herberts, vor Aufregung rotes und tränenüberströmtes Gesicht. "Herbert, was ist passiert?", fragt sie leise, dass man denken könnte, Herbert könnte sie nicht verstehen. Doch er versteht sie und beginnt zu erzählen: „Du hast deine Tasche vergessen und ich dachte mir, die wäre vielleicht wichtig, da dein Handy und dein Führerschein darin sind. Deshalb habe ich die Katze gleich aus dem Auto gelegt und bin losgefahren. Doch als ich den Kinderwagen und deinen Namen auf den Zettel entdeckte, habe ich sofort die Polizei gerufen! Ich spürte schon, dass irgendetwas nicht stimmt. Dann habe ich gesehen, wie du auf dem Boden liegst, und dieser Wahnsinnige auf die zurasen wollte. Da habe ich Gas gegeben und bin mit voller Wucht in sein Auto geknallt!" - "Wo ist er?", kreischend löst sie sich aus Herberts Umarmung und will wieder losrennen, doch Herbert zieht sie zurück. "Er ist weg! Ich habe ihn zwar mit dem Auto die Böschung runter gestoßen, aber er ist sofort ausgestiegen und Richtung Wald gerannt. Keine Sorge Mika! Er ist weg und die Polizei auf dem Weg!" Das ist zu viel! Weinend bricht sie in Herberts Armen zusammen.
Verdammter Mist! Wütend läuft er durch den Wald und denkt über seinen verpatzten Plan nach. Die Wut ist sogar so groß, dass er einen Ast entzwei schlägt und einen unschuldigen Igel ermordet, indem er einfach auf ihm rumtrampelt, bis das Tier nicht mehr atmet. "Verdammt, verdammt, verdammt!", schreit er immer und immer wieder. Das gibt Rache! Sie wird es so bereuen, schwört er sich selbst. Sie wird Qualen erleiden, die noch nie jemand erlitten hat! Hysterisch lachend und hüpfend durchquert er den Wald, während er hinter sich die Polizeisirenen hört. "Mika", säuselt er immer wieder und kratzt sich die Narben an den Armen wieder auf, bis sie stark bluten, "Mika, du bist mir nur einmal entkommen!" Und geschmeidig wie eine Katze verschwindet er hinweg in seine Heimat, die sichere Dunkelheit...
Kapitel 2
"Bitte verstehen Sie mich doch!"- "Frau Roswald, ich kann Sie verstehen, aber bitte reden Sie! Es ist doch nur zu Ihren eigenen besten!" So geht es nun seit zwei Wochen und jede einzelne Therapie, jede Befragung und jede Konfrontation mit diesem Thema wühlt sie umso mehr auf. Der Gedanke daran, dass sie nur knapp dem Tod entkommen ist, lässt ihr keine Ruhe. Aus lauter Angst hat sie sich sogar einen Hund gekauft, welchen sie rund um die Uhr bei sich hat. Oft erschüttern sie starke Krämpfe, wo sie dann einfach stundenlang in ihrem Bett liegt und sich die Seele aus dem Leib weint. Damals in der siebten Klasse, als ihr Kaninchen Alf spurlos verschwunden war, dachte sie immer, sie könnte nie mehr so stark weinen. Wenn sie gewusst hätte, was die beiden vergangenen Jahre für sie bereithielten, hätte sie keine einzige Träne wegen diesem blöden Kaninchen vergossen. Doch man weiß nie, was das Schicksal vorhat, genau so wenig, wie man weiß, was das Leben alles zerstören kann.
"Darf ich Ihnen noch einen Kaffee bringen?"- "Danke, nein! Aber die Rechnung!", lächelt er die Kellnerin an, welche errötet und sofort lossprintet, um ihm den Bon zu drucken. Er hatte noch nie einen Misserfolg, einfach noch nie! Und nun? Jetzt sitzt er hier in ihrem Lieblingskaffee, hat sich die Haare aus Frust gefärbt und lächelt jedes weibliche Wesen an, solange es blond ist. Die attraktive Kellnerin läuft strahlend zurück zu seinem Tisch und verkündet schüchtern: "Zwei Cappuccinos, sechs Euro vierzig bitte!" Zwinkernd nimmt er ihr den Zettel aus der Hand, zieht charmant einen Stift aus seiner Jackentasche und schreibt seine Nummer darauf. "Sieben!", sagt er so kokett wie möglich und steckt ihr wiederum zwinkernd den Kassenbon zu. Mit hochrotem Kopf und vor Freude strahlend verschwindet die Kellnerin und er hat weiter Ruhe, um einen Plan zu schmieden, wie er sein Ziel doch noch erreichen kann.
Das einzige Lebewesen, welches sie jetzt noch freiwillig vor die Tür brachte, ist ihr Hund Hero. Da Hero aber ein Border Collie ist und diese bekanntlich viel Auslauf brauchen, musste sie nun doch öfter außer Haus, als ihr lieb war. "Sei froh! Du kannst dich doch nicht ewig einmauern.", meinte Herbert einmal, als sie ihn anrief und bat, mit dem Hund Gassi zu gehen, weil sie zu viel Angst hatte. Nun wäre es wieder soweit: Hero springt wie ein Verrückter vor ihrem Bett auf und ab, quietscht und fiept in den höchsten Tönen, die einem Hund wohl möglich sind und versucht, ihr die Decke vom Bett zu ziehen. "Hero, aus! Komm, sei bitte leise!" Doch der Hund hörte nicht auf, also musste sie doch wohl oder übel aus dem Bett kriechen und sich etwas anziehen, was nicht nach "Penner und arbeitslos" aussah. Nachdem sie Herbert eine SMS gesendet hatte, in der stand, dass sie das Haus verlasse, spazierte sie los. Hero war überglücklich und tollte über den taufrischen Rasen, das man denken konnte, er würde jeden Moment auf die Schnauze fallen. "Hero, bei Fuß!", schrie sie über das Feld und lächelte, als Hero sofort loshechtete, um voller Freude neben ihr herzulaufen.
"Sie haben eine neue Nachricht der Nummer...", er überdreht die Augen und legt das Handy kurz zur Seite. Es ist nun schon die fünfte Nachricht auf seinem Anrufbeantworter, diese Kellnerin lässt einfach nicht locker. "Hallo, ich bin es, Julia!", säuselt sie ins Telefon, "Ich hoffe, du erinnerst dich noch, ich bin die Kellnerin aus dem Q1. Vielleicht habe ich ja eine falsche Nummer, also es wäre echt süß von dir, wenn du dich meldest. Ciao!" Wenigstens werden die Nachrichten immer kürzer und er überlegt langsam, ob er sie nicht doch zurückrufen soll. Während er im Gedanken versunken Richtung Friedhof schlendert, fällt ihm plötzlich der große Border Collie auf, den er vor Kurzem Mika im Tiergeschäft seiner Tante verkauft hatte. Auch wenn es nicht sein Lieblingsjob ist, mit Tieren zu arbeiten gab ihm immer das Gefühl, doch wichtig für jemanden zu sein. "Das Schicksal meint es doch gut mit mir!", denkt er sich und geht ganz normal weiter. Tatsächlich geht sein Plan auf und der Hund erkennt ihn sofort wieder. Schwanzwedelnd und hechelnd läuft Hero auf ihn zu und er geht in die Knie um das Tier zu streicheln. "Level 2 kann beginnen!", denkt er sich und strahlt die Hundebesitzerin unschuldig an.
"Moment Mal!", schoss es ihr ein, " Den kenn ich doch!" Automatisch zuckte sie zusammen und trat einen Schritt zurück. "Hallo, wir kennen uns doch, oder?", sagte der attraktive Fremde freudestrahlend, als könnte er ihre Gedanken lesen. "Ich wüsste nicht woher?", erwiderte sie ängstlich, so dass er ihre Anspannung bestimmt spürte. "Natürlich, ich arbeite in der Tierhandlung, ich erkenne doch Ihren Hund wieder!", meinte er kess und zwinkerte ihr zu, so dass sie völlig perplex dastand. Nachdem sie sich wieder gefasst hatte, meinte sie nur trocken:" Sie hatten aber eine andere Haarfarbe."- "Das stimmt, schwarze Haar habe ich noch nicht lange.", kam nur knapp, während er sich kurz durch die Haare wuschelte. Jetzt konnte sie sich wenigstens wieder an den Tierladenbesitzer erinnern, der ihr Hero verkauft hatte. Doch das dieser so eine mächtige Ausstrahlung hatte? An das kann man sich normalerweise erinnern, oder etwa nicht?
Er liebt es, sie so verwirrt zu sehen. Es gibt ihm das Gefühl der vollen Macht und ihm war seine Ausstrahlung auf Frauen noch nie so bewusst, wie in diesem Moment. "Aber wollen wir uns nicht Duzen, ich denke wir sind ja fast gleich alt!", lächelt er sie an und streckt seine Hand aus." Ich denke nicht, dass das angemessen wäre." Uff, dass saß! Ihm entgleitet fast das Gesicht, doch er fängt sich schnell wieder. "Okay, das tut mir leid, ich wollte nicht unhöflich wirken.", bemüht er sich, die Situation zu retten. "Das war eher unhöflich von mir, tut mir leid, ich mache zurzeit viel durch!", sagt sie, dreht sich um und geht mit Hero im Gänsemarsch zurück Richtung Hauptstraße. Das war eine klare Kampfansage! "Mika Roswald, man sieht sich immer zweimal im Leben oder in unserem Fall öfter...", murmelt er, während er weiter Richtung Friedhof trottet.
Was dieser Mann wohl wollte? Noch nie war sie so verwirrt nach einem Gespräch mit einem netten Typen. Früher, als ihr Leben noch normal war, hätte sie sich bestimmt über einen Flirt wie diesen gefreut. Doch war das überhaupt ein Flirt? Oder reine Nettigkeit? Es ließ ihr einfach keine Ruhe, so viel stand fest. Doch wieso wollte er sie unbedingt Duzen? Und wieso war ihr dieser Verkäufer damals in der Tierhandlung nicht aufgefallen? Gut, sie musste zugeben, in der Tierhandlung war sie noch immer sehr angespannt und verletzlich, da dieser Zwischenfall mit diesem Irren erst ein paar Tage vergangen war. Doch fällt einem eine solche Persönlichkeit nicht immer auf? Egal wie gestresst man ist? Anscheinend nicht..."Aaaah!!!", schrie sie vor Schmerzen auf, als sie im Wald über etwas stolperte. Vor Angst raffte sie sich auf und lief ziellos weg. Was war das? Hero, der neben ihr herlief, verstand anscheinend die Welt nicht mehr. Keuchend blieb sie stehen, und drehte sich kurz um. "Eine Wurzel! Es ist eine verdammte Wurzel!", lachte sie los. Komplett hysterisch lachte sie fast zehn Minuten, bis sie sich beruhigte. "Mika, du hast Angst, weil du über eine Wurzel stolperst, krieg dich ein!", beruhigte sie sich weiter selber und trat den Fußweg nach Hause weiter an, während sie nervös an ihrem blonden Haar rumzupfte.
"Julia? Hallo, freut mich von dir zu hören. Wie geht's dir?" Irgendetwas muss er nun für sein Seelenwohl tun und wenn es nur die blonde Kellnerin ist! Diese ist natürlich aufgeregt wie eh und je, so dass er ihre Aufregung auch noch bis nach China gespürt hätte:" Oh, äh, hallo! Ja, ähm, danke jetzt super und dir? Was machst du so?" -"Auch super, danke! Ich hätte irrsinnige Lust, mit dir ins Kino zu gehen, wärst du dabei?", nachdem er die Frage ausgesprochen hat, wundert er sich auch schon wieder über seine eigene Dummheit. "Ja sehr, sehr gerne, ich freue mich total, wann und wo?" Am liebsten würde er einfach auflegen, doch er tut es nicht. Sein Ego wird ja dennoch von ihr gepusht, egal wie nervig sie gerade ist. "Heute um fünf vor dem neuen Starbucks? Hättest du Zeit?", antwortet er trotzdem freundlich. "Ja, gerne, ich freu mich sehr, aber das hab ich ja schon gesagt. Tschüssi, bis später!", und weg war sie. "Ciao!", meint er noch trocken, während er das piepende Telefon am Ohr hält.
Schlotternd sperrte sie ihre Haustüre auf. Wie ängstlich sie war, schrecklich! Doch kaum im warmen, gemütlichen Vorzimmer angekommen, verflog ihre Angst. Sie zog sich die Schuhe aus und ihre nackten Zehen schlürften über den eiskalten Fliesenboden, wobei sie dank der vernachlässigten Ordnung komplett schwarz an den Fußballen wurde. "Wie fein wäre eine Fußbodenheizung!", der Gedanke kam ihr nicht zum ersten Mal, doch bis jetzt hatte sie nie ernsthaft darüber nachgedacht, sich eine Heizung einbauen zu lassen. Wenn man aber knapp mit dem Leben davonkommt, werden einem erst die kleinen Dinge, die den Alltag schöner machen, bewusst. Also kramte sie trotz des modernen Internets ihr altes Telefonbuch hervor und suchte die Nummer eines Installateurs, obwohl sie sich nicht ganz sicher war, ob dieser überhaupt für Fußbodenheizungen zuständig war. Aber fragen kostet ja nichts und so tippte sie die Telefonnummer gedankenverloren in ihr Handy ein.
"Schön dich zu sehen!", strahlend geht er einen Schritt auf sie zu, Küsschen links, Küsschen rechts, ganz "Old School", würde man sagen. "Hi!", haucht sie zart und wird rot dabei. Jackpot! Wenn er darauf verbissen wäre, würde es ihm nie gelingen, die Frauenwelt so zu verzaubern, wie er es jetzt wieder tut. "Wollen wir vor dem Film noch kurz ins Café?", anscheinend hat er ihr mit dieser Frage die Sprache verschlagen, denn außer einem kurzem Nicken kann er nichts erwarten. Doch lange muss er nicht darauf warten, denn sobald sie im Café sitzen, sprudelt es wieder nur so aus ihr heraus. Zuerst hört er ihr gar nicht richtig zu. Er macht zwar auf charmant, nickt nach jedem Satz begeistert und lässt ab und an ein "Oh" oder "Nicht wirklich?" fallen, aber um was es genau geht, weiß er eigentlich nicht. Ihr fällt anscheinend auch nicht auf, dass nur sie redet, jedenfalls lässt sie sich nichts anmerken. Doch ein plötzlicher Themenwechsel macht ihn dann doch neugierig. "Hast du das gehört von dieser einen, die im Auto von einem völlig Geisteskranken überfallen worden ist. Also wenn ich das wäre, ich könnte nicht mehr weiterleben, aber nachdem sie den Irren angeblich gefunden haben, ist doch wieder alles gut. Aber kannst du dir das vorstellen? Die Arme! Ich kenn sie zwar nur flüchtig, aber sie tut mir verdammt leid. Stell dir einmal vor, da lauert dir jemand auf und du kannst nicht machen! Einfach nichts! Also ich würde allein vor Angst sterben, sag ich dir, weil....", sprudelt es nur so aus ihr heraus, doch er hört ihr schon lange nicht mehr zu. Gefunden haben sie ihn? Er würde gerne laut loslachen, aber Julia hat leider nicht einmal etwas annähernd Lustiges erzählt, er darf jetzt nicht lachen. Mit seinen Gedanken ist er schon wieder komplett wo anders. Wer der arme Idiot wohl ist der nun statt ihm in U-Haft sitzt? Eigentlich traurig, dass die heutige Polizei zu blöd für alles ist. Tja, Glück für ihn, Pech für andere!
"Sie müssen den Täter identifizieren, Frau Roswald.", flüsterte die kühle Stimme am anderen Ende der Leitung. Perplex starrte sie aus dem Fenster. Ihre Laune fiel von überglücklich bis unter den Nullpunkt, falls das eben irgendwie möglich war. Eigentlich wollte sie doch gerade den Installateur anrufen, doch bevor sie wählen konnte, stand die fremde Nummer auf ihrem Display. Zuerst war sie am Überlegen, ob sie überhaupt drangehen sollte, aus lauter Angst, einen Anruf des Irren zu erhalten. Doch da die Nummer zu sehen war, hob sie dennoch ab. Geschockt stütze sie sich nun auf ihrer Küchenzeile ab und musste erst ihre Gedanken ordnen, bevor sie überhaupt antworten konnte. "Frau Roswald? Geht es Ihnen gut?", die Frau klang besorgt und man merkte, dass sie auf ein Lebenszeichen wartete. "Wie identifizieren? Ist er... ist er tot?", schreckliche Vorstellungen schossen durch ihren Kopf. Sie hätte dem Mann, der ihr Leben zerstört hatte, viel gewünscht, aber nicht, dass er selbst ums Leben kommen würde. Wie soll sie nur einen toten Menschen wiedererkennen können? Dieser psychischen Belastung würde sie auf keinem Fall Stand halten können! "Nein, er lebt, wir haben ihn stellen können, doch weiteres möchte ich Ihnen nicht am Telefon erzählen. Könnten Sie sofort zur Polizeistation kommen?" Er lebt! Zitternd und weinend brach sie in ihrer kleinen Küche zusammen und ihr wurde schwarz vor Augen. "Frau Roswald? Bitte melden Sie sich doch! Frau Roswald?", schrie die Psychologin in den Hörer, doch Mika konnte sich nicht mehr melden.
"Weißt du was? Ich hoffe, der Typ bekommt seine gerechte Strafe, stell dir vor, was der sonst noch alles gemacht hätte..." - "Oder machen wird", würde er gerne ergänzen, doch er spart es sich. Er findet es noch immer lächerlich, dass die Polizei den Falschen verhaftet hat. Das macht doch die ganze Spannung am Spiel kaputt! " Hast du den Kuchen probiert? Eigentlich sollte ich keinen essen, ich bin doch auf Diät, aber Ausnahmen bestätigen die Regel! Am liebsten würde ich jeden Tag Schokolade essen, aber da...", redet Julia ohne Punkt und Komma weiter. Gut, dass er abschalten und seinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Irgendwie muss er wieder ins Rennen kommen! Aber er darf nicht stark auffallen. Doch wie?
" Frau Roswald!!!" Mit brummendem Schädel hob sich Mika wieder vom Boden. "Ja? Was ist los?", meldete sie sich nur knapp. Was war passiert? Und wieso lag sie auf ihrem Küchenboden? "Gott sei Dank! Bewegen Sie sich nicht, die Rettung kommt sofort, ich habe den Notruf schon abgesetzt.", ließ die Frau in einem Ton verlauten, der das Gegenteil nicht duldete. "Der Rettungswagen ist jeden Moment da, bleiben sie ruhig!"- "Als hätte ich eine andere Wahl!", dachte Mika grimmig und die Gedanken in ihrem Kopf spielten verrückt. Wie sollte sie nur dem Mann gegenübertreten, der ihr Leben zerstören wollte? Sie hatte doch keine Kraft dazu. Sie hörte das Schloss knacken und die Krankenwagensirene schallte durch das ganze Haus. So laut, dass die Gläser in ihrer goldbraunen Vitrine zu vibrieren begannen. "Wenigstens weiß man, dass sie da sind!", dachte Mika, die sich nicht mal traute, die Beine anzuziehen. Die Angst war zu groß, noch mehr Schmerzen zu erleiden, denn ihr Kopf machte sie noch verrückt. "Frau Roswald, bitte melden sie sich!", schrie der Rettungsmann etwas zu laut, während er die Treppe raufstürmte. "In der Küche.", quietschte sie, ihre Stimme versagte mehr und mehr. "Frau Roswald, ist die Rettung endlich da? Melden sie sich!" Fast hätte sie die Frau am anderen Ende ihres Telefons vergessen. "Alles gut, die Rettung ist da, sie können auflegen.", piepste Mika. Nach diesen Worten hievte sie der junge Rettungsmann auf die Trage und zum wiederholten Mal in diesem Monat raste der Rettungswagen mit ihr ins Krankenhaus.
Kapitel 3
"Jetzt hören Sie mir doch endlich zu!", direkter kann ich wohl kaum werden. „Sie sollten vielleicht den Ton wechseln." Seine Schritte werden immer schneller und ich habe echt Schwierigkeiten, ihm zu folgen, was mich nur noch mehr aufregt. "Bitte bleiben Sie stehen und hören sie mir zu, es ist wirklich wichtig!"- "Ich will nicht schon wieder hören, dass wir den falschen Mann hinter Gitter gebracht haben, Sie haben es doch schon um die hundert Mal erwähnt." Wie kann mein Chef nur so trocken reagieren? Wie kann es ihm nur so egal sein? Ich stelle mich quer in seinen Weg und funkle ihn böse an. Mein Chef scheint davon aber eher unbeeindruckt zu sein, denn er lächelt noch immer. Für einen Kriminalbeamten sieht er prinzipiell ziemlich nett aus, eher wie ein Vater als ein böser Polizist. Hindert mich aber jetzt nicht daran, es mir mit ihm zu versauen, er wird mir sowieso dankbar sein. "Ich sag Ihnen nun zwei Dinge, von denen ich wirklich überzeugt bin. Erstens, dieser Mann ist nicht unser gesuchter Täter. Und zweitens wollen Sie mir das nicht glauben, weil ich eine Frau bin!", ich lasse bestimmt nicht locker, der kann sich auf etwas gefasst machen! Grinsend bleibt mein Chef jetzt doch stehen und sieht mir ungeniert in die Augen: „ Von dem zweiten können Sie ausgehen, bei ihrer ersten Vermutung liegen wir nicht auf einer Wellenlänge." Pah! Spinnt der? Er hat mir gerade ernsthaft gesagt, dass er mir nicht glaubt, weil ich eine Frau bin? Das habe ich doch nur gesagt um ihn weich zu bekommen. Mistkerl!
Fortsetzung folgt!