Leere Seelen

von Melanie Köppel

 

 Hier ist es warm, viel zu warm! Jetzt, da ich meine Augen wieder einigermaßen öffnen kann, bringen sie mir Bilder, die ich aber nicht so ganz deuten will.

"Wo bin ich?", schießt es mir wieder und wieder ein, "Was verdammt noch mal tu ich hier?"

Ich sehe dürre, gebrechliche Menschen, die alle etwas gemeinsam haben, nur was?

Sie sehen mich an, mit ihren leeren, fast schon todtraurigen Augen. Sie sind klein oder groß, hell oder dunkel, alt oder jung, doch sie haben alle etwas gemeinsam.

"Oh nein!", der Gedanke trifft mich wie ein Schlag ins Gesicht. Alle diese Personen haben einen kahl gescherten Kopf! Es gibt hier niemanden, der Haare hat! Es gibt auch niemanden, der ein unversehrtes Gesicht besitzt. Nur wieso?

 

Es verlassen mich meine Kräfte immer und immer wieder, und ich muss dauernd meine Augen schließen. Mein Schädel pocht und meine Gliedmaßen fühlen sich wie heiße Kohle an! Ich spüre mich nahezu innerlich verbrennen.

"Adonai*, was habe ich getan? Womit habe ich dieses Grauen verdient?", frage ich mich in meinen Gedanken, bevor mich meine Kräfte komplett verlassen und ich wieder in einen Traumzustand falle.

 

Ich sehe überall Wiesen. Nicht diese 0815 Flächen, sondern richtig schöne Wiesen mit blühenden Blumen und saftig grünem Gras.

Ruckartig drehe ich mich um.

Und da steht sie, in ihrer vollen Schönheit, die mich noch immer erstarren lässt.

"Hallo Liebling!", sagt sie mit ihrer Samtstimme.

Ich nähere mich und sie streicht mir übers Gesicht.

"Monia!", hauche ich und sie sieht mich mit traurigem Blick an.

Plötzlich löst sie sich auf, einfach so.

"Monia, Mooonia!", weine ich, doch sie ist weg.

 

"Schau mein Freund, hier ist etwas Wasser, zwar nicht viel aber ich hoffe es geht dir besser, wenn du etwas trinkst!" Ein Mann mit feuerroten Händen steht vor mir und versucht, mit mir zu reden, doch es kommt mir vor, als würde er am anderen Ende des Raumes stehen und mir etwas zurufen.

"Joscha? Was ist hier los", schreie ich und der vermeintliche Fremde, der sich als mein Bruder entpuppt, lächelt nur traurig. Anscheinend will oder kann er es mir nicht sagen.

Also mustere ich ihn schweigend. Er hat abgenommen, erschreckend viel sogar! Seine Haut ist entweder schwerstens verbrannt oder schrecklich weiß. Und auch er hat einen kahlen Kopf, der etwas unförmig aussieht. Ich kann nicht mehr kombinieren und schon wieder verlassen mich meine Kräfte aufs Ganze.

 

 

"Waaaaaaaschen! Los, Abmarsch! Bewegt euch oder ich lass euch wieder Steine schleppen!"

Der blonde, gutaussehende Mann in der Tür schreit eine Gruppe von kahlköpfigen Menschen an. Jeder der nicht sofort gehorcht und sich bemüht aufzustehen wird mit einem langen Stock ins Gesicht geschlagen.

Ich habe Angst, große Angst! Was mache ich wenn dieser Mann auch von mir verlangt, mitzukommen? Ich kann nicht mal sitzen wie soll ich bitte aufstehen?

Obwohl, so eine Dusche wäre hoch erfreulich. Denn mein ganzer Körper juckt und meine Hände sind trocken und aufgerissen.

Doch noch schöner als eine Dusche, wäre ein Stück Brot, denn mein Magen zieht sich zusammen und an meine letzte Mahlzeit kann ich mich nicht mehr erinnern.

Und hiermit verlässt mich meine geistige Anwesenheit wieder für ein paar Stunden.

 

"Bist du nicht kitzlig?" Meine Augen brennen wie Feuer, doch ich versuche sie wenigstens einen Spalt zu öffnen. Vor mir sitzt ein kleines Mädchen mit Knopfaugen und leuchtend roten Wangen. Es ist sehr hübsch, obwohl den kleinen, weiß-bläulich schimmernden Körper gefühlte tausend Narben und Kratzer zieren.

"Darf ich hier bei dir sitzen? Ich bin auch ganz leise!", wisperte die zarte Stimme wieder, die aus dem winzigen Mund des Mädchens kommt. Erneut rapple ich mich auf und starre sie an, ohne ein Wort über meine Lippen zu bringen.

 

"Du machst mir Angst, wenn du so große Augen machst!", quietscht sie erschreckt und hüpft ein Stück zurück.

"Wer bist du?", mehr fällt mir nicht ein.

"Yael."

"Wo sind deine Eltern?"

"Papa habe ich schon seit Jahren nicht mehr gesehen und Mama kam vom Waschen nicht mehr zurück. Ich hätte eigentlich auch mitgehen sollen mit Mama. Aber ich bin geflüchtet und jetzt bin ich hier, obwohl hier nur Männer sind, falle ich anscheinend nicht auf."

"Wieso kam sie nicht mehr zurück?"

"Weiß ich nicht so genau!", Yaels Augen werden klein und eine Träne kullerte ihre knöchrigen Wange hinab.

"Klar darfst du bei mir bleiben, aber sag mir, wo sind wir hier?", bemühe ich mich schnell, sie abzulenken.

"Weiß ich nicht...", ihr kleiner Körper zittert, " Aber ich wurde abgeholt von Männern! Sie schlugen und beschimpften mich, dann nahmen sie Mama und mich. Seitdem bin ich hier! Zuerst musste ich schwere Steine tragen, doch dann kam ich her und jetzt warte ich nur mehr darauf, endlich heim zu kommen."

 

Keine Minute später stürmt der blonde Mann von gestern ins Zimmer und macht den gleichen Aufstand wie das letzte Mal.

Es gibt nur einen Unterschied: Yael und ich müssen mitkommen.

Auch wenn meine Kräfte sich nicht wirklich verdoppelt haben, ich habe nun ein Ziel vor Augen. Wo auch immer mein zu Hause sein mag ich will zurück und zwar sofort!

Ich spüre nur Yaels kleine Hand, die die Meine sucht.

"Adonai sei Dank!", sagt Yael, während wir durch einen langen Korridor gehen, immer die Stimme des Blonden im Nacken.

Wir gehen vorbei an riesigen Zäunen, stolprigen Wegen und steinigen Häusern bis wir vor einer riesigen Tür verharren.

Es stinkt schrecklich, doch ich kann den Geruch einfach nicht deuten! Der Geruch verfliegt auch dann nicht, wenn wir durch diese Tür marschieren und überall nur Fliesen zu sehen bekommen, in denen winzige Düsen eingebaut wurden.

"Hier sollen wir duschen?", ist mein erster Gedanke.

Mit einem lauten Knall verschließt sich die riesige Tür und nun stehen wir alle in diesem Raum und reißen uns die verbleibenden Kleider vom Leib.

Ein lautes Piepen ertönt und eine freudig strahlende Yael fasst nach meiner Hand:

"Adonai hat meine Gebete erhört",  flüstert sie und macht die Augen zu.

Doch anstatt des erwartenden Wasser kommt aus den Drüsen eine Art sichtbare Luft und bevor ich mich versehe, bricht Yael neben mir zusammen.

Unter Tränen schreie und schreie ich. Ich schreie so lange, bis es schwarz vor meinen Augen wird.

Mir wird heiß und kalt gleichzeitig und mein leerer Magen dreht sich über und ich ertrage fürchterliche Schmerzen, bis ich meine Besinnung komplett verliere.

Ich weiß zwar noch immer nicht wo ich bin, doch ich freue mich auf Monia. Ich freue mich sehr!

 

*Adonai: Herr (Gott) auf Jüdisch

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